»Hey, wann gehen wir wieder pumpen? Ich brauch’ was zum Konzentrieren, sonst beiß’ ich hier gleich ein paar Köpfe ab!«

»Bleib ruhig. Du darfst niemanden den Kopf abbeißen, sonst töten sie dich!«

»Aber Köpfe schmecken so gut. Was wollen sie machen? Mich häuten? Mir Nahrung verweigern?« Er schaute sie schräg an, sprang von einem Bein auf das andere und wedelte mit den Armen. »Hallo, ich bestehe nur aus Knochen!«

»Dennoch kannst du schmecken, beißt am liebsten Köpfe ab, wirst wahnsinnig, wenn du nicht trainieren darfst und isst alternativ zu Köpfen am liebsten Brathähnchen am Stück, mitsamt Knochen. Was wirklich unangenehm ist, zu sehen und zu hören. Mir wird dabei jedes Mal bewusst, dass du auch meine Knochen so hättest zermalmen können.«

»Oh. Sie könnten mich also doch quälen. So eine Scheiße.« Deprimiert ging Rex zurück in seine Ausstellungshaltung. »Aber nicht so viele Kinder wie gestern. Sonst fange ich noch an zu sabbern.«

»Du hast keinen Speichel.«

»Oh, stimmt. Dann viele Kinder, ich will an ihren Köpfen schnüffeln.«

»Man sollte dich einsperren. Oh, warte, das habe ich ja.« Sie grinste ihn höhnisch an, woraufhin er nur böse knurrte. »Freundlich bleiben, sonst stell’ ich dir Senioren unter die Nase.«

»Bitte nicht. Die riechen immer nach Mottenkugeln und Urin.«

»Dann benimm dich.« Rex streckte seinen Hals noch ein wenig und in seinen Mundwinkeln meinte sie ein leichtes Schmunzeln zu sehen. Sie hätte damit auch gerne noch länger gewartet. Doch Rex Unterhaltskosten fielen deutlich höher aus, als ihre normalen Einnahmen decken konnten. Also mussten neue Einnahmequellen her. Das Museum hatte sie mit Handkuss für ihre Dinoausstellung angenommen, nachdem sie sich als auf Dino spezialisierte Künstlerin vorgestellt hatte. Wenn sie wüssten, dass Rex nicht nur ein paar tote Knochen war, sondern eine Jahrtausende alte Echsenmutation, dann würden sie sie wohl aus dem Haus schmeißen. Oder ihr noch mehr bezahlen. Solange sie nicht wussten, dass Rex am liebsten den Kindern den Kopf abbeißen wollte und ihr nur gehorchte, weil sie ihn mit Magie kontrollierte. Wobei ihr Band auch nicht sonderlich stabil war. Ein Kratzer an jemanden würde seinen Jagdtrieb zwar reizen, doch nicht auslösen. Falls aber jemand eine größere Verletzung haben sollte, müsste sie vielleicht andere Maßnahmen ergreifen. Wobei sie sich nicht sicher war, ob sie gegen ihn gewinnen würde. Inzwischen war er wieder bei vollen Kräften, gut genährt und trainiert. Als sie ihn unterworfen hatte, war er ausgehungert und verletzt. Doch warum den Teufel an die Wand malen? Bis jetzt ging alles gut, er hatte noch niemanden den Kopf abgebissen, maximal ein Haar gezupft. Die Leute wunderten sich, waren sich sicher, ihm nicht so nahe gewesen zu sein, doch sie hatte ihnen einreden können, dass ein Haar statisch geladen ab stand und sich deswegen an einem seiner Zähne verfangen hatte.

Für den Tag sollten sie einen guten Lohn bekommen. Einige tausend der nicht magischen Währung. Waren es Euro, Dollar oder Gold-Unzen? Über all die Jahre und Wohnorte hatte sie die Übersicht über die Zahlungsmethoden verloren. Das Geld sollte zumindest für ein paar Monate reichen, um Rex zu füttern. Er fraß ihr buchstäblich die Haare vom Kopf, vor allem wenn sie ihn nicht rechtzeitig fütterte. Nach dem Tag würde sie ihm auf jeden Fall ein echtes Festmahl spendieren.

»Ahhh!« Erschrocken schaute sie in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Rex blieb ruhig stehen.

»Was ist da bloß passiert?« Bei einem so intensiven Schrei musste etwas Heftiges passiert sein. Sie merkte, wie ihr in den Rücken geatmet wurde. Vorsichtig drehte sie sich um. Rex Nüstern blähten sich bedrohlich auf. Gleichzeitig kam aus seinem Inneren ein animalisches, düsteres Knurren, dass sie bis zu diesem Tag nur noch in den Träumen heim gejagt hatte. Es war dasselbe, wie an jenem Tag, als er sie fand. Sie hatte sich an einer peitschenden Ranke geschnitten und er hatte sie durch den Blutgeruch gefunden. Mit Mühe und Not hatte sie damals den Kampf gegen ihn gewonnen. Doch die Art, wie er sich aufbaute, seine Gelenke knacken ließ, zeigten ihr noch mal mehr, was sie sich da eigentlich zugelegt hatte. Ein Monster, eine Mutation eines T-Rex. Eine kleinere Variante, mit längeren, menschenähnlichen Armen, mit Klauen, die seinen Reißgängen in nichts nachstanden.

»Beute …«

Augenblicklich drückte sie die Rune, die auf das große Vieleckbein ihres linken Handgelenks tätowiert war, wodurch magische Ketten sich manifestierten und um Rex wanden, die ihn halten sollten. Bisher hatte sie darauf verzichten können, es war die grausamste Art, ein dominiertes Wesen seinen Willen aufzuzwingen, doch in diesem Moment sah sie keine andere Möglichkeit. Die Ketten legten sich eng um ihn, es krachte fürchterlich und sie hatte Sorgen, ob sie ihm einige Knochen gebrochen haben könnte. Doch er blickte sie nur aus seinen leeren Augenhöhlen, legte den Kopf kaum merklich schräg.

»Flieh, bitte.«

Aus ihrer Tasche zog sie einen Stift und ein kleines Blatt. Wenn die Ketten lang genug halten würden, könnte sie einen Zauber durch Schreiben wirken. Sie mussten nur halten.

»Entschuldige …«

Sie blickte auf und sah, wie er seine Schultern, die zusammengeschnürt wie ein Truthahn waren, mühelos zurück streckte. Die Ketten knirschten bedrohlich, veränderten an seiner Haltung jedoch nichts. Dann streckte er seine Arme zu den Seiten. Es knackte, quietschte. Ein Riss entstand in einem ersten Kettenglied. Sprachlos beobachtete sie, wie sich das Glied immer mehr auseinanderbog, biss es sprang. Langsam ging er einen Schritt und immer mehr zersprang, bis die Ketten klirrend zu Boden fielen.

»Schließen!«, schrie sie aus Leibeskräften, wodurch alle Fenster und Türen augenblicklich ins Schloss fielen, doch es half nichts. Rex sprintete krachend durch die massive Holztür, als ob sie aus Pappmaschee wäre. Sofort rannte sie hinterher, doch sie wusste, dass er schneller war. Wie konnte sie ihn aufhalten? Ihr war klar gewesen, dass er stark werden würde, doch dass er bereits so stark war, hätte sie nicht gedacht. Sollte sie versuchen, einen Zauber zu schreiben? Das würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. In der Zwischenzeit würde er das Kind fressen und wahrscheinlich noch einige weitere Museumsbesucher ebenfalls um ihr Leben erleichtern. Hatte sie eine Rune, die mächtig genug war? Auf ihm hatte sie eine eingeprägt, die vielleicht helfen könnte. Doch dafür musste sie direkt an seinen Hals. Den Ort hatte sie gewählt, um ihn aufhalten zu können, falls er ihr an die Kehle gehen würde. Aber jetzt, da er seinen Jagdtrieb folgte, schien das Vorhaben, an seinen Hals zu gehen, äußerst töricht zu sein. Genauso gut könnte sie einen hungrigen Schimpansen bitten, die Banane nicht zu nehmen, die sie ihm direkt vor die Nase hielt. Hatte sie einen Spruch, mit dem sie ihm die Stirn bieten könnte? Der ihn vielleicht verlangsamte, damit sie schreiben oder an seine Kehle kam?

Die Laufbandeinheiten mit ihm trugen allerdings bei, dass sie deutlich schneller hinter ihm her rannte. Vor einem Jahr wäre sie nach den ersten hundert Metern außer Atem gewesen, doch nun hetzte sie die Treppe hinter ihm her, schwang sich über das Geländer und kam problemlos auf. Das Museum war erfüllt von panischen Schreien, rennenden Getrampel, was von leicht behangenen Wänden reflektiert wurde. Wo war er? Es waren so viele Geräusche, dass sie das Kind nicht mehr ausmachen konnte. Blut. Er rannte in die Richtung, aus der er Blut roch. Also sollte sie sich vielleicht auch darauf konzentrieren. Sie versuchte ihre Sinne zu schärfen. Schweiß, Öl, Regen. Es war so viel, dass es schwer war, die unterschiedlichen Nuancen auszumachen. Doch da, ganz schwach, war der gesuchte Geruch. Augenblicklich spurtete sie in die Richtung, rammte mit ihrer Schulter eine geschlossene Tür auf. Der Schmerz zog durch ihre Schulter, sie hätte doch ihre übliche Kombi anziehen sollen. Allerdings hatte sie auf die Menschen möglichst normal wirken wollen, daher trug sie eine ordentliche Jeans, ihre üblichen Stiefel, die immer elegant waren, und einen schlichten Wollpullover. Doch sie hatte keine Zeit, sich ablenken zu lassen.

Obwohl sie über die Zeit schon viele grausame Anblicke ertragen musste, verstörte sie dieser noch mal anders. Seine Zähne waren blutüberströmt. Zwischen ihnen hingen Haare, Sehnen und Stofffetzen. Einige Meter entfernt von ihm lag der Leichnam. Rex hatte nicht nur den Kopf allein, sondern noch den ganzen Hals und ein Teil der Brust abgebissen. Ein Schlüsselbeinknochen ragte einsam hervor, als ob er nach dem Zweiten suchte. In seinen pechschwarzen Augenhöhlen schimmerte es Rot. Als ob ihm das Blut zu Kopf gestiegen wäre. Schmatzend beachtete er sie keines Blickes, hatte nur das nächste Kind im Blick, das zusammengekauert in einer Ecke saß. Sie hatte dieses Monster auf die Menschen losgelassen. Nur, weil sie ihn am Leben halten wollte. Ein Kind war bereits wegen ihres törichten Verhaltens gestorben. Jedes weitere Zögern würde weitere Leben kosten. Sie hatte keine Wahl. Das Kind würde Qualen leiden müssen, genauso wie sie, aber ihn sollte sie damit aufhalten können. Ihre letzte Hoffnung.

»Berstende Gelenke!« Rex konnte nicht einmal mehr seinen Kopf drehen. Der Spruch wirkte augenblicklich. Sie spürte, wie sich ihre Gelenke verschoben, ihren Körper verlassen wollten, versuchten auseinanderzubrechen. Die Schmerzen waren unerträglich, sie klappte augenblicklich zusammen. Rex’ Knochen hingegen stoben in alle Richtungen, da der Spruch alle Gelenke auseinanderbrach und die Knochen einander abstoßen, wie gleiche Magnetpole, die zuvor bis auf einen Nanometer aneinander gehalten wurden. Langsam verschwanden alle Wahrnehmungen. Geräusche wurden leiser, Gerüche verschwanden, ihr Blick wurde unscharf. Sie durfte nicht bewusstlos werden. Unmengen an Adrenalin strömten durch ihre Adern, während ihr Verstand taub wurde. Gegen den Überlebensinstinkt ihres Körpers arbeitend, lenkte sie all ihre Magie in ihren Daumen, versuchte verzweifelt, ihn etwas mehr auf die Rune zu drücken, um sie auszulösen. Spürte, wie es in ihrer Hand wärmer wurde. Es fehlte nicht viel, noch ein wenig, dann würde sie einsetzen. Vor ihren Augen wurde es immer dunkler, mehr und mehr Schwärze füllte ihr Sichtfeld. Um sie herum schien es still zu sein. Wenn sie es nicht schaffte, würde sie in eines dieser Menschenkrankenhäuser kommen und als merkwürdiger Komapatient enden. Das durfte nicht passieren, sie musste es schaffen. Sie konzentrierte sich mit aller Mühe, versuchte sich noch einmal voll zu konzentrieren und auch den letzten Rest ihrer Kraft zu investieren, bis ihr Schwarz vor Augen wurde.

Erst war da ein Zischen, dann ein ganz leises Plop. Dann strömten alle Geräusche wieder auf sie ein. Ihr Gehörknöchelchen hatte sich also wieder justiert. Es dürfte also nicht allzu lange dauern, bis sich alle Gelenke wieder einrenken würden. Für genau den Fall hatte sie eine mickrige, aber mächtige Rekonstruktionsrune in die Handinnenfläche gesetzt. Um diesen Spruch überleben zu können. Mit zittrigen Beinen stand sie auf, sobald sich ihre Gelenke wieder zusammengesetzt hatten. Rex’ Knochen waren vollkommen in dem Raum verstreut. Aber er war ihre zweite Sorge. Humpelnd ging sie in die Ecke, in die sich das Kind verkrochen hatte. Ihr rechtes Knie und der rechte Knöcheln waren wohl nicht so sauber verheilt, wie sie gehofft hatte. Aber für den Augenblick war das egal. Besorgt kniete sie sich zu dem Jungen, dessen Pupillen sich wohl nach hinten gedreht hatten. Es war nur der weiße Augapfel zu sehen. Mit zwei Fingern tastete sie an seinem Hals nach seinem Puls. Sie hatte zu lange gebraucht. Er war so schwach, dass er jeden Augenblick aussetzen würde. Bei den Verletzungen würde auch keine menschliche Medizin ihn retten können. Doch der Gedanke, einen Menschen des Lebens beraubt zu haben, in einem so unschuldigen Alter, in dem er vielleicht noch Magie hätte finden können, war für sie nicht zu ertragen. Aber wie könnte sie ihn retten?

»Beiseite du Närrin. Einen Rexanon Mutatos Brutalis zu unterwerfen. Du hast mit deinem Leben wohl schon abgeschlossen. Nimm deinen Freund und geh!«, bluffte sie ein Mann an, der sich neben den Jungen kniete, seinen Hemdärmel hochkrempelte und eine Feder hervorzog. Mit einem Messer schnitt er das Oberteil des Jungen auf. »Verschwinde, zurück in dein Reich!«, brüllte er und sie spürte augenblicklich, wie ein magischer Wind sie und Rex Knochen zusammentrug. Aber sie wollte nicht gehen. Wollte er mit der Feder auf den Jungen schreiben? Woher war er gekommen? Wieso wollte er Magie auf ihn nutzen?

Klappernd sammelten sich alle Knochen von Rex um sie, während ein immer stärkerer Wind um sie herum aufkam. Dieser verdichtete sich zu einem Wirbelsturm, in dem Rex Knochen wild umher folgen und sie langsam in die Luft schwebte. Normalerweise wäre sie allein davon panisch geworden, doch er fesselte sie zu sehr. Er hob die Feder, schien lautlos Worte zu murmeln und rammte sich die Feder in einen Unterarm, ohne die Miene zu verziehen. Dann verschwand er. Sie wurde weiter hochgetragen, als ob der Raum keine Decke hätte, wurde wild herumgeschleudert und kam nach einer gefühlten Minute auf hartem Fliesenboden auf. Klappernd fiel ein Knochen nach dem anderen auf den Boden. Um sie herum war alles dunkel. Unsicher tastete sie nach ihren Taschen, bis sie das Probenröhrchen fand, dass sie gesucht hatte. Nach kurzem Schütteln leuchtete es auf und sie konnte die Umgebung erkennen. Es war ihr Labor.

»Hättest du die Güte, mich wieder zusammenzusetzen? Ich fühle mich äußerst körperlos.« Geschockt starrte sie Rex Kopf an. Er war ganz geblieben. Wobei das nicht stimmte. Während sie ihn betrachtete, sah sie, wie sich langsam Haut und Sehnen über den blanken Schädel zogen.

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Mayonnaise