Mayonnaise
Lustlos zog sie einen Artikel nach dem anderen über das Band. Das Ladenradio spielte dieselbe Werbung zum fünften Mal in dieser Stunde.
»Und nur heute, allein bei uns zum Superspezialsonderpreis, Mayonnaise, egal ob im Glas, der Tube oder die praktische Flasche, alle zum Start unseres Grillwettbewerbs zum halben Preis. Sie haben richtig gehört, zum halben Preis! Schlagen Sie jetzt zu und schauen Sie an der Frischetheke für die perfekten Würstchen vorbei! Ihr Markt!«
Mayo zum halben Preis. Was für ein Blödsinn. Den Preis der Würstchen haben sie dafür vor sechs Wochen um dreißig Cent erhöht, damit Sie bei der Aktion noch mehr verdienen. Wie viel Mayo braucht man zum Grillen? Eine Tube, vielleicht zwei? Die zum halben Preis schlägt sich beim Einkauf kaum nieder.
»Vierundsiebzig zweiundzwanzig.« Der Mann lächelte sie verstohlen an, während er seine Wohlstandswampe halb auf das Band legte, dabei seine Karte zwinkernd gegen das Lesegerät drückte. Der Nikotingeruch unter seinen Fingernägeln erinnerte sie nur daran, dass es viel zu lange bis zur nächsten Pause dauerte. Außerdem hätte sie sich etwas anderes anziehen sollen. Das Top bot eigentlich keinen Einblick. Zumindest nicht, wenn man jemanden gegenübersaß oder stand. Bedauerlicherweise hatte sie nicht daran gedacht, dass sie saß und die Kunden standen. Zwar könnte sie die Marktjacke bis zum Hals zuknöpfen, wodurch alles verdeckt wäre, jedoch würde sie dann von der verzweifelt arbeitenden Klimaanlage gar nichts mehr mitbekommen. Achtunddreißig Grad waren einfach zu viel zum Arbeiten. Oh Mann, glotz doch nicht dermaßen offensichtlich. Warum hatte sie keinen anderen Job angenommen? Oder gesucht? Vielleicht als Domina. Dann könnte sie ihre Wut, die sich über Jahre wegen solcher und anderer Ekelpakete aufgestaut hatte, kontrolliert ausleben. Klar, sie würde immer noch angeglotzt werden, aber dafür würde sie zumindest bezahlt werden. Vielleicht sollte sie sich das mal anschauen.
»Hallo, junges Fräulein, ich hätte eine Frage.«, erkundigte sich eine Dame, die sie an ihre Großmutter erinnerte. Allerdings konnte sie sich nicht entscheiden, ob an die gute oder die schreckliche. »Sie hören zu?« Ruhig bleiben, du brauchst den Job. Sie gehört einer anderen Generation an, Sie ist halt so.
»Selbstverständlich höre ich zu. Wie kann ich Ihnen helfen?« Ah, heute Abend würden ihr wieder die Wangen schmerzen. Ständig dieses Verkäuferlächeln war anstrengend. An diesem Tag brauchte sie es noch häufiger als sonst.
»Haben Sie keine bessere Verpackung für die Mayonnaise?« Die Dame lächelte sie fragend an. Ganz offensichtlich war die Frage ernst gemeint.
»Na ja, wir haben drei Varianten im Angebot.«
»Ach, das weiß ich auch. Sie müssen wissen, das Glas finde ich umständlich. Wenn das leer ist, muss ich extra zum Glascontainer laufen, um es loszuwerden. Aus der Aluminiumtube bekommt man nicht einfach alles raus. Die muss ich aufschneiden, damit sich das wirklich lohnt.«
»Dann nehmen Sie doch die Plastikflasche.«
»Oh nein, auf keinen Fall.« Die alte Dame kreuzigte sich, als ob die Verkäuferin den Teufel beschworen hätte. »Lebensmittel mit Plastik zu verbinden, kommt mir nicht ins Haus. Teufelszeug. Haben Sie nichts Besseres? Können Sie nicht mal veranlassen, dass es besser verpackt wird?«
Denken Sie, wenn ich Produktverpackungen optimieren würde, würde ich an der Kasse von einem Supermarkt sitzen? Diskussionen über Mayonnaisepackungen führen? Nein, dann würde ich in einem gut klimatisierten Büro sitzen, einen fancy Smoothie trinken und mich fragen, womit ich Endverbraucher mal wieder so richtig über den Tisch ziehen könnte. Größere Verpackung mit fünf Prozent weniger Inhalt, dafür zehn Prozent teurer. So was in die Richtung.
»Ich werde mal mit der Geschäftsleitung sprechen, ob wir die Mayonnaise nicht in den Pappschachteln von Apfelmus verkaufen können. Dann hätte ich noch eine Beschäftigung nach Feierabend.« Scheiße. Hatte sie das jetzt wirklich geantwortet? Auch wenn der Job anstrengend war, so war sie auf ihn angewiesen. Eine Abmahnung konnte sie nicht gebrauchen.
»Oh in Pappschachteln. Das klingt prima. Ich werde beim nächsten Mal danach fragen. Für heute nehme ich die drei mit. Dann kann ich Ihnen sagen, mit welcher Firma Sie das arrangieren sollen.« Denk nicht drüber nach, mach einfach deinen Job. Sag ihr nicht, das alle drei Produkte von derselben Firma produziert, nur unterschiedlich abgepackt und bepreist wurden.
Durchatmend zog sie Glas, Flasche und Tube übers Band. Anschließend Grillkohle, Alueinweggrillschachteln, Pappteller und Plastikbesteck. Das brachte sie zum Lachen. Wie war das? Plastik mit Nahrungsmitteln nicht vermischen? Klar, das passierte bestimmt nicht, wenn man sein Essen mit PLASTIKGESCHIRR schnitt. Nein, nein, i wo! Alles natürlich. Was für ein Schwachsinn.
»Hier, das sind drei Packungen Würstchen. Also die Freundin vom Neffen des Cousins, meiner besten Freundin, deren Schwippschwager, die hat da fünfzehn Prozent Rabatt bekommen. Die stehen mir zu!« Ungläubig starrte sie die Frau an. Es waren drei Pakete der teuersten Sorte der Frischetheke.
»Also es gibt Dinge, weshalb wir Produkte rabattieren.«
»Na dann los. Hopphopp junge Dame, ich muss weiter. Man erwartet mich.«
»Ich war nicht fertig.« Die Frau seufzte, rollte mit den Augen und wedelte mit der Hand, als ob sie dadurch die Informationen schneller bekommen würde. »Für Produkte der Frischetheke gibt es keinen Rabatt. Niemals. Unter keinen Umständen!«
»Ich will mit der Geschäftsleitung reden!«, verlangte die Frau in einem schnippischen Ton. Du brauchst den Job. Los, halte dich zurück. Keine bissigen Kommentare.
»Ich denke, Sie haben keine Zeit.« Ah verdammt. Da war die Zunge wieder schneller als das Hirn. Wie vom Blitz getroffen, schaute die Dame sie an, japste nach Luft. Schnell handeln, Schadensbegrenzung.
»Manager bitte an Kasse-Eins. Manager bitte an Kasse-Eins.«, rief sie über ihr Mikrofon aus. »Sollte sofort kommen.«, versuchte sie die Frau zu beruhigen. Diese würdigte sie jedoch keines Blickes. Die Schlange hinter der Dame wurde auch immer länger. Die Kollegin an der zweiten Kasse rief nach einer dritten. Bis diese kam, würde es sich jedoch weiter stauen. Die Managerin, eine kleingewachsene Dame, schoss wie eine Kanonenkugel um eine Ecke und brauchte noch tausend Trippelschritte, um sie zu erreichen.
»Hallo, ich bin die Managerin des Markts, wie kann ich helfen?«, erkundigte sie sich leicht außer Atem. Noch bevor die Kassiererin Luft holen konnte, wetterte die Dame los.
»Ich verlange fünfzehn Prozent Rabatt auf meine Würstchen!« Die Managerin schaute zwischen ihr, den Würstchen und ihrer Angestellten hin und her.
»Haben Sie Ihr schon gesagt, dass es auf Artikel der Frischetheke nie Rabatt gibt?« Die Kassiererin kam nicht zum Antworten.
»Also die Freundin vom Neffen des Cousins, meiner besten Freundin, deren Schwippschwager, die hat fünfzehn Prozent Rabatt auf Würstchen bekommen. Die richtig guten Knacker!« Managerin und Kassiererin tauschten einen kurzen Blick. Beide wussten Bescheid.
»Die ›richtig guten Knacker‹ waren vor zwei Wochen im Angebot. Als noch eine gewisse Menge an Artikeln übrig geblieben waren, haben wir uns dazu entschlossen, noch mal fünf Prozent auf die ursprünglichen zehn draufzugeben, damit sie verkauft und nicht weggeschmissen werden. Wären damit alle Fragen geklärt?«, übernahm die Managerin freundlich und wollte sich zum Gehen wenden.
»Ich verlange meine fünfzehn Prozent!«, zeterte die Dame.
»Wofür? Gute Ware, die noch lange frisch ist? Und Sie all die Kunden hinter sich aufhalten? Denen die Zeit rauben, von der Sie angeblich keine haben? Für wen halten Sie sich?« Im ganzen Markt herrschte mit einem Mal Stille. Selbst das Radio spielte nicht mehr, es knackte nur leise. Wahrscheinlich hatte es wieder einmal einen Aussetzer wegen eines Datenfehlers. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Das war gar nicht gut.
»Wie reden Sie mit mir? Los, feuern Sie sie! Der Kunde ist König! Sie arrogante Ziege!«, zeterte die Dame mit so hochrotem Kopf, dass man sich um ihre Gesundheit sorgen könnte.
»Gute Frau, bitte unterstehen Sie sich, unser Personal zu beleidigen. Los gehen Sie!« Verdattert starrte sie ihre Chefin an.
»Hopphopp. Ich übernehme für Sie.« Wie aufgefordert verließ Sie die Kasse. Vielleicht war genau das der Schubs, den sie gebraucht hatte. Ein letzter, um nicht nur darüber nachzudenken, sondern den Job wirklich hinter sich zu lassen.
»Bar oder mit Karte?«, hörte sie die Managerin hinter sich fragen.
»Natürlich Bar. Ich habe es passend.«, wetterte die alte Dame, als Sie klirrend ihr goldsackähnliches Portmonee auf die Ablage hievte und begann die zweiundfünfzig dreiundsiebzig in den kleinstmöglichen Münzen abzuzählen.